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Drück mich mal ganz fest

Therapie und Erfolgsgeschichte eines wahrnehmungsgestörten Kindes

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Drück mich mal ganz fest
Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf
Verlag
Herder Verlag, Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe 2017 (21.Gesamtauflage)
ISBN-Nummer
978-3-451-06946-8
Preis
19, 99 €
Kaufen bei Diana Künne, Pädagogischer Verlag und Buchhandlung

Die Erstausgabe des Buches erschien 1991 im Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau. Darauf folgten überarbeitete Ausgaben 2013 und 2017.

Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf ist Philologin und entwickelte in der Mitte der 1990er Jahre das LINGVA ETERNA Sprach- und Kommunikationskonzept. 1999 erfolgte die Gründung des LINGVA ETERNA Institutes für bewusste Sprache in Erlangen. Sowohl vor diesem Hintergrund, als auch in der Zusammenarbeit mit dem Seniorpartner und Mitentwickler Dr. Theodor R. von Stockert entstanden weitere Veröffentlichungen. Der Schwerpunkt liegt hier in der differenzierten Wirkung von Sprache und richtet sich an die Bereiche Pädagogik, Wirtschaft, Personalwesen, Gesundheitswesen und persönliche Entwicklung. 

Das Buch ist im Taschenbuchformat erschienen und in Erzählstil verfasst. Die verschiedenen Ausgaben sind mit unterschiedlichem Cover versehen. Das Buch beinhaltet ein Vorwort von Ingelid Brand, dessen Arbeitsfeld in Psychologie, Heilpädagogik und Förderdiagnostik beheimatet ist. Das Buch beschreibt, laut Untertitel, Therapie und Erfolgsgeschichte eines wahrnehmungsgestörten Kindes.

Die Erzählerin, in diesem Fall Autorin und Mutter, beschreibt die Entwicklungsgeschichte ihres Sohnes Daniel. Das Buch versucht Mut zu machen und  an die Fähigkeiten der Kinder zu appellieren. Sowohl anhand von fachlichen Aufzählungen und Beschreibungen, als auch aus der Sicht einer lebenslangen Verantwortung werden Hintergründe beschrieben und Zusammenhänge formuliert.

Das Buch beschreibt die Hilflosigkeit von Eltern, gezielt Hilfepläne abzurufen, vor dem Hintergrund unklarer Diagnosen.  Fehlende lehrindividuelle Vorgehensweisen führen nicht selten zu Entwicklungsverzögerungen, zu Verunsicherung von Eltern und oftmals  entstehenden besonderen Verhaltensbedürfnissen der betroffenen Kinder. Veranschaulicht wird der beschwerliche Weg zwischen rechtzeitiger Förderung, Entscheidungen zu integrativen Bildungsangeboten und unterschiedlichen Therapien und Trainings. Mit vielen Beispielen aus dem Alltag werden Entwicklungserfolge dargestellt. Weitere Themen sind die hohen Ansprüche, die an die Familien gestellt werden, sowohl innerhalb des eigenen Familiensystems, als auch im Gelingen von Freundschaftsbesuchen, Ereignissen innerhalb der  Peergroup oder überhaupt in unterschiedlichen Spiel- und Lernsituationen.  

Das Buch beschreibt eine kurze Zeitspanne von wenigen Jahren. Angefangen von den ersten Auffälligkeiten, bis hin zu ersten Schulerfahrungen. Es zeigt eine sehr enge Beziehung auf, zwischen Mutter und Sohn. Unterschiedliche Therapieansätze sind im Detail beschrieben und wiederkehrend aufgeführt. Es gibt eine Vielzahl von Einblicken zum Ablauf von Therapiestunden, zu Erfahrungen in Sprachförderung, Reiten, Psychomotorik und vielem mehr. Viele Übungsbeschreibungen und Ideenansätze geben Anregung und zeigen Erfahrungswerte auf.

Immer wieder findet man Hinweise zum Gebrauch von Sprache.  Zum einen in der Darstellung der vorliegenden Problematik des Kindes und den damit verbundenen Therapieansätzen, zum anderen in Hinweisen, wie selbstverständlich und unwissend die Gesellschaft mit sprachlichen Formulierungen umgeht. Hier sowohl im unbedachten Gebrauch und der damit entstehenden Fehlinterpretation, als auch im Hinblick auf alltagstypische und gesellschaftsgeprägte Zuordnung von Begrifflichkeiten. In diesem Zusammenhang meist unbegründet generalisiert und negativ besetzt.

Deutlich wird immer wieder, wie wichtig Beziehungen sind und wie bedeutend es  für die Betroffenen und auch deren Familien ist, durch vorhandene Sicherheit und entgegengebrachtes Verständnis, erforderliche Resilienz  zu entwickeln.

Leider stellt das Buch nur einen Teil der Entwicklungsgeschichte dar. Gerade die Zeit der weiterführenden Schulen und der Jugendzeit bleiben unerwähnt. Auch der berufliche Werdegang wird nicht vermittelt. Gerade hier liegen ja oft nochmals besondere Schwierigkeiten in Entwicklung und Pubertät. Letztendlich sind Beruf und Studium nur wenige Zeilen gewidmet. Der Sprung von der Grundschule zum erwachsen Sein ist für den Leser etwas weit gefasst. Die im Detail dargestellte Entwicklungsbeschreibung und die damit verbundenen Erfolge wirken dadurch unvollständig und teilweise unschlüssig. Die im frühen Kindesalter gravierend beschriebenen Sprachprobleme finden kein Resümee.

Die gesamte Familiensituation ist nur wenig behandelt, die Bedürfnisse der Schwester nur am Rande erwähnt. Über den Vater erfährt man nicht viel.  Es gibt eine Menge an Impulsen, die man aufgreifen kann. Trotzdem würde ich die Beschreibung als Beispiel sehen und nicht, wie im Buch beschrieben, als stellvertretend für Kinder mit ähnlicher Problematik. Schon die Formulierung: man kennt sie als Kinder mit AD(H)S hat mich gleich zu Anfang irritiert. Es gibt viele Hintergründe zu Wahrnehmungsstörungen. Selbst wenn man oftmals zusammenhängende Komorbiditäten berücksichtigt, muss es nicht grundsätzlich mit AD(H)S in Verbindung stehen. Mehrfach wird im Text hier pauschal zugeordnet. Für den Leser ist die Herleitung hier nicht erkennbar. Auch die Beschreibungen  der sprachlichen Problematik und das Schildern der Diagnose- und Therapieansätze lassen keine Verallgemeinerung zu. Auch hier gibt es viele Ursachen und somit zu differenzierende Entwicklungsverläufe und erreichbare Erfolge.

Ein sicherlich positives Buch, wenn man sich darin wiederfinden kann. Leider wird das nicht jedem gelingen, denn auch die Doppelrolle als Mutter und Therapeutin setzt eine Menge an Wissen, Engagement und Durchhaltevermögen voraus, und kann auch Risiken beinhalten. Die Gesamtheit von Diagnose, Symptomatik, Ausprägung und Umfeld schafft so viel Diversität, dass jede Entwicklung nur für die eigene Geschichte stehen kann.

Ich habe mich während des Lesens manchmal gefragt, ob und wie oft der Junge die Therapiestunden alleine besucht hat. Sind sie doch bis ins Detail beschrieben, was dem Leser zu Gute kommt. Trotzdem würde ich auch favorisieren wollen, dass viele durchgeführten Übungen und Handlungsanweisungen in  Ergotherapien und in der Heilpädagogik grundsätzlich beheimatet sein sollten.

Ein Buch, das Eltern Unterstützung und Achtsamkeit entgegen bringt. Das Hoffnung gibt und kleinen Schritten Wertschätzung schenkt. Ein Buch, das lehrt, wie Inklusion praktisch stattfinden sollte. Das Buch ist schnell zu lesen, da es auf unnötige Fachsprache verzichtet. Teilweise sind Textstellen recht langatmig, da sie gleiche Details immer wieder aufnehmen und wöchentliche Wiederholungen beschreiben.

Der Preis von 19.99 € liegt im normalen Preisniveau.

Dipl. Des. Astrid Bojko-Mühr