Ein Buch für zappelige Zirkuskinder mit ADHS, ihre Zirkusfamilien, Freunde und Zirkusdompteure - Psychologische Kinderbücher
Die vollmundige Alliteration im Titel der Reihe „Psychologische Kinderbücher“ macht erst einmal neugierig. Doch bei näherer Beschäftigung mit dem Buch bleibt beim Leser viel Ratlosigkeit, ob der vielen Intentionen des Buches:
- Was will das Buch? Lustig sein, schlau sein, belehren, unterhalten, aufklären, anleiten, sich selbst inszenieren, verwirren, über Kontaktadressen von Psychotherapeut*innen informieren?
- An wen richtet es sich denn genau? Die Autorinnen schreiben, dass das Buch für Kinder sei und am Ende ein paar Seiten für Eltern und Lehrer*innen. Da würde ich gern genauer wissen, an welchen Altersbereich die Autorinnen gedacht haben? Für das Kindergartenalter wohl eher nicht. Für Klasse 1-2 erscheint es mir an einigen Stellen zu anspruchsvoll und textlastig, während für Kinder der Klassen 3-4 der Plot und die Bilder schon etwas zu kindlich sind. Oder richtet sich das Buch doch nur an angehende DompteurInnen?
Für mich geht hervor, dass sehr viele sehr schlaue Leute an dem Buch mitgewirkt haben (Seite 6-9) und dass alle es besonders gut machen wollten, im Sinne von „pädagogisch wertvoll“. Das Ergebnis überzeugt mich nicht, denn es entsteht das diffuse Gefühl: „Viele Köche verderben den Brei“ bzw. so brav stellt sich “Psychologie/Erziehungswissenschaft“ ein gutes Kinderbuch zum Thema ADHS vor. Für meinen Geschmack zu theoretisch und pädagogisch verbrämt. Außerdem ein bisschen viel Erklärung im Buch darüber, wie das Buch funktionieren soll. Ein paar provokante Fragen an die Autorinnen:
- Braucht ein gutes Kinderbuch Erklärung?
- Wäre da nicht ein Begleitheft zum Bilderbuch sinnvoller gewesen?
- Welches Kind findet es attraktiv dressiert zu werden?
- Geht’s dem Enno und dem Zacharias nach ihrer geglückten Dressurnummer jetzt wirklich besser?
- Warum darf denn Enno nicht auch ein bisschen Clown sein im Zirkus?
Nun zur simplen Handlung des Kinderbuches:
Von Seite 12-33 werden in relativ raschem Tempo viele, etwas konturlose Zirkus-Figuren eingeführt, die z.T. recht bedeutungs- und zusammenhanglos aneinandergereiht werden.
- Flamingodame Rosella
- Zirkuselefant Enno
- Seiltanzeichhörnchen Fridolin
- Jonglierbärin Gerlinda
- Trommeläffchen Anton
- Hase Konstatin
- Zauberfuchs Ferdinand
- Zappelfloh Zacharias
- Flohdompteur
- Zirkusdompteur Daniel
- Löwen Leopold
Bei der Flut der Figuren bleibt auf der Strecke, dass Enno und Zacharias die Hauptprotagonisten des Buches sein sollen, oder sollen sie das gar nicht? Sowohl den Bildern als auch dem Text entbehrt ein notwendiger Fokus auf diese beiden Figuren. Text und Bilder sind im Detail nicht gut aufeinander abgestimmt.
Und das eigentlich spannende Thema Zirkus reduziert sich nach einigen trampelhaften Versuchen des Elefanten Enno leider auf eine vollkommen spaßbefreite Dompteurnummer, die dann in einem Auftritt – jawohl, der Dompteur hat gut dressiert! – mündet. Kein Zauber, keine Magie, kein Glitzern, keine Tricks, keine Lachen, keine Spannung, einfach nur regelmäßiges stumpfes Üben.
Jetzt zum zweiten Teil des Buches, der sich von Seite 34 – 62 dahinzieht mit zahlreichen Tipps im Umgang mit ADHS-Kindern. Diese Übungen beziehen sich scheinbar auf die Erzählung, haben aber dennoch eine gewisse Beliebigkeit, die auch dadurch nicht durchbrochen wird, dass die diffusen Figuren der Geschichte für den psychologisch-pädagogischen Teil zitiert werden.
Kindern (9-13), denen ich dieses Buch gezeigt habe, waren schnell gelangweilt, ratlos und konnten einfach nichts mit Enno und seinen Freunden anfangen. Weder mit den Bildern, noch mit dem unspannenden Text. Ich auch nicht. Leider.
Zu Beginn werden Kinder eingeladen, sich auf einer Eintrittskarte für den Zirkus zu überlegen, wer sie heute sind (Seite 11): Besucher*in, Popcornverkäufer*in, Seiltänzer*in, „Ich trete mit einem Spezialtalent auf“.
Ich entscheide mich heute für die nicht vorgegebene Rolle der Buhfrau: Der Vorhang fällt für dieses Buch, wobei mein Platz im Zappel-Zirkus-Zacharias definitiv nicht im Zelt ist und noch nicht einmal vor dem Zelt, denn weder als Mama, Lehrerin oder systemische Therapeutin hätte ich Lust einer Zirkus-Vorstellung beizuwohnen bzw. die Dompteuse – übrigens ein sehr fragwürdiges Bild? – für Enno oder sonstwen zu geben.
Wenn Euer nächstes „Psychologisches Bilderbuch“ schöner wird, schick ich euch auch ein paar Erdnüsschen zur Belohnung, in Form von einer wohlwollenderen Kritik.
Johanna Schmotz