Ein Arbeitsbuch
Die Zahl der Bücher über ADHS im Kindes- und Jugendalter ist inzwischen Legion. Doch erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich diese Störung nicht »auswächst« - womit eine ganze Generation von Müttern vertröstet wurde – und das zeigt sich jetzt auch in der Fachliteratur, die sich zunehmend mit ADHS bei Erwachsenen beschäftigt. Höchste Zeit, denn etwa 2% aller Erwachsenen zeigen Symptome im Sinne einer ADHS, und – wenn man den Studien glauben darf – leiden 20-30% aller Strafgefangenen ebenfalls daran. Hier ist Handlung angesagt. Nun ist die Sache bei Kindern relativ einfach. Irgendwann werden sie diagnostiziert und dann muss man sie überzeugen oder überreden, dass eine Therapie sinnvoll ist. Doch wer sagt einem Erwachsenen auf den Kopf zu, dass sein chaotisches Verhalten, seine innere Rastlosigkeit, seine mangelnde Impulskontrolle etwas mit ADHS zu tun haben können? Und bis er selber über seinen Schatten springt und Hilfe sucht, vergeht oft viel, zu viel Zeit,sodass sich begleitende Störungen wie Suchtentwicklung, Depressionen etc. entwickeln können.
Nun könnte das vorliegende Buch eine kleine Hilfe anbieten. Sein Reiz besteht darin, dass es ein Arbeitsbuch ist. Nach einem kurzen theoretischen Teil, der das bereits Bekannte um ADHS zusammenfasst und sich spezifiziert auf Erwachsene, entwerfen die Autoren Dr. med. Hesslinger, Dr. med. Philipsen und Dr. phil. Richter ein symptomorientiertes Behandlungskonzept mit der Zieldefinition: »ADHS zu kontrollieren, anstatt von ADHS kontrolliert zu werden.« Es geht um Gruppen- wie auch um Einzeltherapie, wobei die Vorteile der Gruppen darin liegen, voneinander zu lernen, gemeinsam zu leiden und gemeinsam seine Stärken zu entdecken. Gruppe quasi als Therapiefaktor. In 13 Wochenstunden, 1 x wöchentlich bei maximal 7-9 Teilnehmern begleitet von 2 Therapeuten, wird an einem Plan entlang gearbeitet, der viele Vorgaben macht, aber auch, je nach Bedarf, modifiziert werden kann. Alles, was einem Betroffenen das Leben schwer machen kann, wird aufgefangen und thematisiert, wobei die Wender-Utah-Kriterien für Erwachsene als Diagnosegrundlage dienen. Zur Therapie gehören Hausaufgaben, die zur Eigenbeobachtung, Fremdbeobachtung, Rückschau in die eigene Geschichte anleiten sollen und regelmäßig als Einstieg in eine neue Lektion besprochen werden. Dieses Buch gibt nicht nur Therapeuten mit ähnlichen Vorstellungen wichtige Impulse und viel Material an die Hand. Es kann auch Betroffenen ein Wegweiser sein. ADHS-Menschen haben oft Schwellenängste. Fast alle haben negative Schulerlebnisse und entsprechende Rückmeldungen hinter sich. Sie haben außerdem in aller Regel nicht viel Sinn für Klein gedrucktes. Hier kommt Ihnen das Buch entgegen. Die Module – sprich: Bausteine – der Psychotherapie erscheinen in großen Blöcken, sind deutlich unterteilt in Sitzungsthema, Ziele, Materialien. Das alles erfasst man mit einem Blick. Wer nach Anleitung zur Selbststrukturierung sucht, der könnte hier fündig werden.
Es bleiben trotzdem noch etliche Fragen, z. B. nach den Methoden. Reichen Gespräche und Diskussionen, die Erfahrungsaustausch, Kontrolle, Bewertung beinhalten, aus? Das sind rein kognitive Vorgehensweisen.
Wo bleiben Rollenspiele, Spiele überhaupt, bildnerisches Gestalten, Tanz – alles Möglichkeiten, innere Fronten aufzuweichen, Menschen zu sich selbst zu führen, sich zu erfahren, kennen zu lernen. Aber dann reichen 13 Doppelstunden natürlich nicht aus. Zusätzlich erhebt sich die Frage nach der Kostenübernahme. Da in Deutschland immer noch nicht generell Stimulanzien für die Erwachsenentherapie erstattet werden, bleibt offen, ob die Kassen dieses Krankheitsbild auf anderer Ebene anerkennen. Immerhin, - das Buch könnte ein Anstoß sein.
Margarete Gatzen
aus neue AKZENTE Nr. 69,70/2005