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Das große ADHS-Handbuch für Eltern

Verantwortung übernehmen für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität

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Das große ADHS-Handbuch für Eltern
Russell A. Barkley
Verlag
Hogrefe
ISBN-Nummer
978-3-456-86082-4

Russell Barkley ist einer der renommiertestes ADHS-Forscher und sein medizinisches Standardwerk ist in seinem Umfang, in seiner Ausführlichkeit das wichtigste Buch auf dem Gebiet der ADHS-Forschung.
 

Umso eindrucksvoller, dass es der Autor schafft seine wissenschaftlichen Ausführungen in einem Buch für Eltern verständlich und prägnant darzustellen.

Barkley gelingt der erstaunliche Spagat das Thema einfach, anschaulich und fundiert für seine Zielgruppe - Eltern von ADHS-Kindern - anzugehen und noch dazu wertvolle Tipps für Eltern aufzuzeigen.

In dem ersten Teil des Buches erläutert er den aktuellen Stand der Wissenschaft. In einer einfachen Sprache vermittelt Barkley die aktuellen neurobiologischen Grundlagen der ADHS, verständlich und spannend ohne Abstriche an den Inhalt zu machen. Klar ist, dass die Hauptursache von ADHS neurobiologisch und erblich ist. Er berichtet, dass in den genetischen Untersuchungen etwa 20-40 Risikogene gefunden wurden, die mit ADHS im Zusammenhang stehen. ADHS wird nicht dominant vererbt, sondern nur 25-30 % der Kinder haben ADHS, wenn ein Elternteil erkrankt ist. Angehörige sind 4-mal häufiger von ADHS betroffen, als die Normalbevölkerung. ADHS kommt aber selten alleine. 80 % der ADHS-Betroffenen im Erwachsenenalter haben noch eine weitere seelische Erkrankung, 50 % sogar mehr als eine: am häufigsten Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen.

Wenn ein Kind ADHS hat, dann haben etwa 30 % der Eltern auch ADHS. Das beeinträchtigt sie natürlich zusätzlich in ihren erzieherischen Fähigkeiten.

Wichtig ist es Barkley immer wieder, dass ADHS als eine Störung verstanden wird, die die Fähigkeit zur Selbststeuerung beeinträchtigt. Das findet er viel wichtiger als die bei ADHS auftretende Konzentrationsstörung. Nur von einer Aufmerksamkeitsstörung zu sprechen, empfindet er als eine Verharmlosung der ADHS-Symptomatik. Im Vordergrund steht daher bei Barkley, dass er ADHS als Störung der Planungsfunktionen sieht (Exekutivfunktionen). Dazu gehören: Planen können, sich selbst Ziele zu setzen, sich Zeit einteilen zu können, Gefühle regulieren zu können, Bedürfnisse aufschieben zu können. Auch die Konsequenzen der eigenen Handlungen einschätzen und vorwegnehmen zu können, gehört zu den Exekutivfunktionen. Hier sieht Barkley bei ADHS-Betroffenen erhebliche Defizite. Es fällt ADHS-lern schwer etwas in der Zukunft zu planen, genauso wie vergangene Erfahrungen auszuwerten und aus Erfahrung zu lernen. ADHS-ler leben vorwiegend im Hier und Jetzt und sie handeln deshalb spontan und unüberlegt, aus dem Moment heraus.

Barkley betont auch immer wieder, dass ADHS auch die Familie als Ganzes betrifft: Eltern, Geschwister und Großeltern. Besonders Eltern kommen in der Erziehung von ADHS-Kindern oft an ihre Grenzen und er betont immer wieder, wie wichtig es für Eltern ist, sich Hilfe zu holen und eine Diagnostik der Kinder voranzutreiben. Es kann schnell zu ungünstigen Familieninteraktionen führen, wenn Eltern auch hilflos, unkontrolliert reagieren oder selbst resignieren und Depressionen entwickeln, weil sie sich in der Erziehung ihrer Kinder so unfähig fühlen. Eltern laufen auch Gefahr ihre Kinder zu verlieren, wenn sie sich aus Erschöpfung zurückziehen und aufgeben.

Der Autor hat viele wertvolle Tipps für Eltern von ADHS-Kindern und er zeigt Hilfestellungen auf, wie man mit schwierigem ADHS-Verhalten umgehen kann.

Zentraler Punkt für Barkley ist die Entwicklung der Selbststeuerung des Kindes.

Hier spricht die Erfahrung eines sehr abgeklärten und engagierten Arztes, der sein Leben der ADHS-Behandlung und ADHS-Forschung gewidmet hat.

Neben der Konzentrationsstörung und der Beeinträchtigung der Selbststeuerung betont Barkley auch immer wieder die Probleme in sozialen Beziehungen. Da ADHS-ler eine schnelle Belohnung wollen und aus dem Hier und Jetzt heraus handeln, können sie nur sehr schwer die ungeschriebenen Gesetze des Lebens lernen: wie Rücksicht nehmen, andere ausreden lassen, Toleranz üben, fair sein. Ihr Verhalten wirkt so für andere egozentrisch, harsch und unfreundlich, was häufiger zu sozialer Ablehnung und damit wieder für Betroffene zu Unmut und Misserfolgen führen kann. ADHS-ler haben oft auch wenig Selbstwahrnehmung und eine falsche Selbsteinschätzung. Die Förderungen der sozialen Fähigkeiten sind für Barkley ein wichtiges Therapieziel.

Barkley ermutigt Eltern die Interessen ihres Kindes gegenüber Lehrer und Institutionen zu vertreten. Er versucht Eltern sehr engagiert das Verhalten ihrer Kinder zu erklären. ADHS Kinder sind nicht böse und egozentrisch, sondern sie haben ein Problem mit der Hemmung ihrer Gefühle, mit Vorausdenken und sich selbst steuern. Das ist eine Störung und eben keine Absicht.

Eltern sind nicht schuld. Eltern brauchen Hilfe und Unterstützung. Eltern sollten neben einem guten Elterntraining für ihre ADHS-Kinder auch eine gute Selbstfürsorge lernen. Damit meint Barkley sich klar und deutlich ausdrücken, konsequent und unaufgeregt handeln, sich ausreichend abgrenzen. Es geht nicht darum, dass Eltern sich für ihre Kinder opfern, sondern dass Eltern lernen ihr Kind zu unterstützen und dabei sich selbst nicht vergessen. Auch Eltern brauchen immer wieder Eigenzeit, Sport, Erholungszeiten, um die Kraft zu schöpfen die Herausforderungen von ADHS zu meistern.

Ein besonderes Anliegen von Barkley ist es auch die Bedeutung von ADHS zu vermitteln. ADHS-Betroffene werden überdurchschnittlich häufig krank und haben gegenüber der Normalbevölkerung eine 13 Jahre geringere Lebenserwartung. Der Grund hierfür ist, dass ADHS-Betroffene viel Stress haben und machen und sie häufig sehr ungesund leben. Sie entwickeln häufiger Essstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, treiben weniger Sport und essen ungesünder. Die Fähigkeit sich selbst zu steuern und Verantwortung für sich zu übernehmen hat den größten Vorhersagewert für die Lebensdauer eines Menschen. Genau dies fällt ADHS-Betroffenen besonders schwer.

Ein sehr lesenswertes Buch und wenn ich Eltern ein Buch für ADHS empfehlen sollte, würde ich dieses als erstes empfehlen.

 

Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz