(häufige Fragen)
In Zusammenarbeit mit Mike Townson und Andrea Zahn vom AdS e.V. und Dr. Myriam Menter und Sabine Hinkel vom BV-AH entstanden diese Antworten auf Fragen, die häufig im Zusammenhang mit ADHS gestellt werden.
Selbsthilfe
Wer kann mir sagen, wo ich in ... einen guten Arzt finde?
Diese Frage können Ihnen die Selbsthilfegruppen vor Ort am besten beantworten. Über die Selbsthilfeverbände bekommen Sie Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe in Ihrer Nähe.
Wie finde ich eine Selbsthilfegruppe in meiner Nähe?
Die örtlichen Selbsthilfegruppen des ADHS Deutschland e.V. finden Sie direkt im Internet.
Selbsthilfegruppen des ADHS Deutschland
Vorschulalter
Kann ein 4-jähriges Kind bereits medikamentös und psychotherapeutisch behandelt werden?
Wie so viele Fragen zu ADHS als "Syndrom der Extreme" kann auch Ihre Frage zur medikamentösen Behandlung eines vier Jahre alten Kindes nicht mit einem einfachen "Ja" oder "Nein" beantwortet werden. In der Regel soll die Medikation erst ab einem Alter von 6 Jahren gegeben werden. In besonderen Fällen und nach strenger Indikation ist aber auch eine frühere Medikamentengabe möglich.
Für eine psychotherapeutische Behandlung ist das Kind in der Regel noch zu jung. Aber ein Eltern-Training durch einen ADHS-kompetenten Verhaltenstherapeuten wäre durchaus möglich und ggf. auch empfehlenswert.
ADHS tritt selten ohne Begleiterscheinungen auf, beispielsweise Störungen in der Grob- oder Feinmotorik, usw. Auch bei einem vierjährigen Kind kann man da schon etwas tun, z.B. mit Ergotherapie. Gerade eine frühzeitige Therapie der konkreten Probleme bringt in diesem Alter oft gute Erfolge.
An wen wende ich mich, wenn ich ein ADHS-Kind im Kindergarten habe? An den Kinderarzt? Oft bekommt man die Rückmeldung, dass die Kinderärzte das Problem nicht ernst nehmen.
Erste Anlaufstelle sollte ein ADHS-kundiger Kinderarzt sein, der die Diagnostik entsprechend den Leitlinien macht. Leider sind noch nicht alle Kinderärzte "ADHS-kundig". Die Früherkennung von ADHS (Vorschulalter) steckt noch in den Kinderschuhen. Darum ist es besonders schwierig, für diese Problematik geeigntete Ärzte zu finden. Wenn Sie die Vermutung haben, Ihr Kind könnte ADHS haben, wenden Sie sich am besten an eine Selbsthilfegruppe in Ihrer Nähe. Dort kennt man die Ärzte vor Ort und kann Ihnen auch wertvolle Tipps für den Umgang mit dem Kind geben.
Versuchen Sie ihr Kind so konsequent wie möglich zu erziehen, machen sie keine Ausnahmen, bleiben Sie fest, aber freundlich. Geben Sie Ihrem Kind möglichst viel Struktur (im Tagesablauf, in den Regeln, usw.). Es kann sein, dass Sie wegen der ADHS Ihres Kindes auf manches lieber verzichten sollten (z.B. laute, chaotische Veranstaltungen). Achten Sie darauf, was Ihrem Kind gut tut und was nicht. Schielen Sie nicht nach anderen Familen und stellen Sie keine Vergleiche an. Ihr ADHS-Kind ist anders und darf es auch sein.
Erfahrung und Spielen in der Natur: Könnte dies als förderlich eingesetzt werden um sowohl motorische, visuelle als auch auditive Fähigkeiten zu fördern?
Immer raus an die frische Luft! Der Wald ist unkaputtbar und braucht hinterher nicht aufgeräumt zu werden. Dort können die kleinen Wilden toben, ohne dass jemand Angst ums Mobiliar haben muss. Das schont die Nerven der Eltern! Nicht nur körperliche Fähigkeiten werden gefördert, auch die Kreativität und Phantasie wird angeregt. Viel Spaß beim Spielen!
Fernsehen, Videospiele
Hat TV-Konsum Einfluss auf ADHS?
Vieles, was im Übermaß betrieben wird, einen ungünstigen Einfluss auf den Menschen. Oder, wie es ein altgriechischer Philosoph schon sinngemäß sagte: "Gift ist immer eine Frage der Dosierung". Aber die oftmals gehörte Behauptung, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ADHS und zuviel Fernsehen, PC-Spielen/Gameboy, ist so nicht richtig. ADHS ist überwiegend genetisch bedingt und wird nicht durch den Konsum von Fernsehen oder elektronischen Spielen ausgelöst.
Welche Umgangsregeln empfehlen Sie für Fernseher, Gameboy, PC-Spiele?
Elektronische Medien verursachen zwar kein ADHS, aber ADHSler neigen häufig zu Suchtverhalten, sodass auch der Konsum von Fernsehen und Co ausarten kann. Darum ist es besonders wichtig, betroffenen Kindern einen maßvollen Umgang damit nahezubringen.
Ich empfehle eine tägliche zeitliche Beschränkung. Mit Extra-Fernseh- oder Spielzeit kann man ein Belohnungssystem aufbauen, das den Kindern hilft, andere wichtige Regeln einzuhalten.
Schule
Wie kann im Schulalltag ADHS von anderen Verhaltensproblemen (z. B. familienabhängigen) unterschieden werden?
Das ist eine schwierige Frage. Ich will das mal an einem Beispiel anschaulich machen. Das ADHS, das uns im Alltag begegnet, ist immer eine Mischung. Es gibt Symptome, die direkt auf ADHS zurückzuführen sind, zum Beispiel eine geringe Frustrationstoleranz durch mangelnde Impulssteuerung. Und es gibt sekundäre Symptomen, die später durch eine gestörte Interaktion mit der Umwelt entstehen, beispielsweise überdurchschnittlich viele frustrierende Erlebnisse. Da kommt eins zum anderen und wie soll man am Ende wissen, warum genau das Spielbrett durchs Zimmer fliegt. Ist es überhaupt wichtig, das so genau sagen zu können?
Für den Schulalltag (und nicht nur dort) finde ich es viel wichtiger, einen Weg zu finden, den alle gemeinsam gehen können, der weder Kinder noch dieLehrer/Eltern überfordert. ADHS ist eine Erklärung für Probleme, aber es darf nicht zur Ausrede werden.
Ist eine Montessori-Schule für ADHS-Kinder geeignet?
Mit einem pauschalen "Ja" oder "Nein" ist diese Frage nur schwer zu beantworten. Grundsätzlich gilt, dass ADHS-Kinder auch in der Schule klare Strukturen brauchen. Diese Grundvoraussetzung für den schulischen Erfolg eines ADHS-lers wird durch das Montessori-Konzept leider nicht in jedem Fall gewährleistet. Allerdings können ADHS-kundige Lehrkräfte auch in einer Montessori-Schule ihre Schützlinge erfolgreich fördern. Kurzum: Wie bei allen anderen Schulen auch, kommt es letztendlich entscheidend auf die Persönlichkeit und Fähigkeit der einzelnen Lehrkraft an.
Diagnose
Ist ein nicht-hyperaktives Kind immer ein hypoaktives Kind?
Das Merkmal hypoaktiv gibt es in den diagnostischen Kriterien nicht. Die Kernsymptome der ADHS sind Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.
In der Fachwelt gibt es Überlegungen, ob man zusätzliche Unterscheidungen machen sollte. In der Fachwelt diskutiert man eine weitere Unterscheidung für den bisherigen vorwiegend unaufmerksamen Subtyp: nämlich eine Gruppe mit verlangsamtem kognitiven Tempo, die eventuell sogar eine eigenständige Störung darstellt, sowie einen vorwiegend unaufmerksamen Subtyp der ADHS, der aber schwache Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität aufweist.
Die "langsame Gruppe" ist wohl das, was man landläufig als hypoaktiv bezeichnet. Daneben gibt es aber auch die vorwiegend Unaufmerksamen, die weder hyperaktiv noch hypoaktiv sind, sondern einfach nur unaufmerksam. Diesen Kindern fehlt die nach außen sichtbare körperliche Unruhe, was aber keinesfalls automatisch mit körperlicher oder motorischer Trägheit gleichgesetzt werden darf, und was auch nicht bedeutet, dass keine innere Unruhe vorliegt.
Sind ADHS-Kinder auch gleich depressiv (brauchen Dopamin und Serotonin)?
Nicht immer, aber oft. Das ist auch kein Wunder bei all der Kritik, Maßregelung und Herabwürdigung, die sie aus ihrem Umfeld erfahren. Cordula Neuhaus hat es treffend formuliert: "Diese Kinder schaffen sich ihre krankmachende Umwelt selber". Depressivität gehört nicht zu den Kernsymptomen von ADHS, aber sie entsteht und verfestigt sich im Laufe der Zeit.
Man wird im Allgemeinen erst die Ergebnisse der Stimulanzientherapie abwarten, bevor man weitere Medikamente dazunimmt. In akuten Notfällen sind Ausnahmen natürlich möglich.
Warum sind Jungen weitaus häufiger betroffen als Mädchen?
Gegenfrage: sind sie das wirklich?
Der Eindruck entsteht wohl deswegen, weil die Jungen weitaus häufiger hyperaktiv sind als die Mädchen. Die Jungen schaffen dadurch frühzeitig Leidensdruck in ihrer Umgebung, während die ruhigen ADHS-Mädchen ihr Umfeld weniger belästigen und belasten, dadurch aber mehr still in sich hinein leiden. Entsprechend suchen die Eltern von Jungen häufiger und frühzeitiger professionelle Hilfe, während das ADHS der Mädchen erst spät oder gar nicht entdeckt wird - mit den entsprechenden Folgen aufgrund verspäteter oder ausbleibender Therapie.
Tendenziell verringert sich der Abstand in der Diagnose-Häufigkeiten von Jungen und Mädchen. Das früher angegebene Verhältnis von 6:1 gilt heute als überholt. Mittlerweile sind wir bei 3:1 bis 2:1, und viele Experten prophezeien bereits, dass wir am Ende 1:1 erreichen.
Viele der Defizite von ADHS-Kindern können auch bei normalen Kindern auftreten. Welche Ausprägung ist notwendig, um von ADHS zu sprechen?
Alle ADHS-Symptome können grundsätzlich auch bei Nicht-Betroffenen aufgrund verschiedenster Ursachen auftreten. Deshalb sollte die Diagnostik auch nur von ADHS-kundigen, erfahrenen Fachleuten durchgeführt werden, damit andere mögliche Ursachen ohne ideologische oder dogmatische Scheuklappen ausgeschlossen werden können.
Ein wesentlicher Unterschied ist die Häufigkeit und Schwere, mit der die Symptome auftreten. Außerdem tritt die Symptomatik frühzeitig auf, hält dauerhaft an und bringt die Betroffenen und ihre Familien immer wieder in Bedrängnis.
ADHS ist eine sog. dimensionale Störung, d. h. man kann mehr oder minder schwer davon betroffen sein. Der Leidensdruck entscheidet darüber, ob Behandlungsbedarf besteht.
Kann ein Kind, das in der Schule gut ist, weil es strukturierte Aufgaben sehr gut meistert, trotzdem ADHS haben? Es kann nicht spielen, keine Aufsätze schreiben und hat mit allem, in dem keine feste Anleitung gegeben ist, große Schwierigkeiten.
Selbstverständlich JA! Gute Schulleistungen sind kein Ausschlusskriterium für ADHS. Jedes ADHS ist anders. Es ist durchaus möglich, dass das Kind, das Sie beschreiben, ADHS hat. Leider ist eine Diagnose aus der Ferne nicht möglich. Aber ein Fachmann wird Ihnen das sicher sagen können.
Wie kann ich herausfinden ob ein Kind ADHS oder Hyperaktivität mit Teilleistungsschwächen (Rechnen/Schreiben) hat oder eine kognitive Minderbegabunghat, also Fall für die Förderschule ist? Meine Tochter ist seit drei Jahren in einem SPZ zur Untersuchung und bis jetzt gibt es keine eindeutige Diagnose.
Nach drei Jahren sollte eine Diagnose gestellt worden sein, auch wenn diese nicht ganz einfach ist und Zeit braucht. ich würde Ihnen empfehlen, eine zweite ärztliche Meinung einzuholen. Es kommt häufiger vor, dass ADHS und Minderbegabung verwechselt wird, vor allem bei langsamen Kindern und/oder Teilleistungsschwächen. Eine Selbsthilfegruppe vor Ort kann Ihnen bei der Arztsuche helfen.
Kann man Ergebnisse von sogenannten Intelligenztests bei ADHS Kindern objektiv beurteilen?
Ja, wenn man professioneller ADHS-Experte ist und einige Besonderheiten beachtet.
Leider kann das Ergebnis eines Intelligenztests bei einem ADHS-Kind zu einer nichtssagenden Hausnummer verkommen, wenn der Test von einer ADHS-unkundigen Kraft durchgeführt wird, die die Auswirkungen des besonderen Wahrnehmungsstils dieser Kinder nicht berücksichtigt. Weitere mögliche Störfaktoren sind der Einfluss der Umgebungsbedingungen, die momentane Position des Kindes auf seiner "emotionalen Achterbahn", Sympathie oder Antipathie gegenüber dem Tester (und umgekehrt), die momentane häusliche und schulische Situation, Tageszeit, usw.
Intelligenztests messen nicht das allgemein vorhandene Potential, sondern nur die Tagesleistung eines Kindes. Auf der einen Seite ist es möglich, dass ein ADHS-Kind durch die Testsituation, und weil alles Neue spannend ist, in Bestform ist, den Test mit Bravour absolviert und Höchstleistungen bringt. Genausogut ist es aber denkbar, dass es lustlos und unmotiviert ist und nur halbherzig mitmacht. Dieses Kind bietet dann ein Ergebnis, das weit hinter seinem Leistungsvermögen zurückbleibt. Es ist also ganz wichtig, das Verhalten und die Mitarbeit des Kindes, ob es gut motiviert oder lustlos war, zu notieren und bei der Auswertung des Tests mit einzubeziehen.
Die Symptome bei ADHS und Hochbegabung sind sehr ähnlich. Wie unterscheidet man ADHS und Hochbegabung sicher voneinander?
ADHS und Hochbegabung gehen überzufällig häufig nebeneinander her. Es gibt Theorien, dass die Reizüberflutung, die ja typisch für ADHS ist, hier etwas Gutes bewirkt hat, weil sie für eine bessere Verschaltung des Gehirns gesorgt hat.
Für eine fundierte Diagnose dieser schwierigen, aber gar nicht so seltenen Konstellation braucht man einen Fachmann für beides. Bei der Arztsuche können Ihnen die Selbsthilfegruppen vor Ort oder die überregionalen Selbsthilfeverbände (siehe oben) behilflich sein.
Therapie
Decken die Medikamente alle drei Botenstoffe ab?
Die üblicherweise bei ADHS verordneten Medikamente sind Stimulanzien (Methylphenidat) und seit kurzem auch ein Noradrenalinwiederaufnahmehemmer. Methylphenidat ist ein Dopaminwiederaufnahmehemmer. Die Substanzen decken keinen fehlenden Bedarf, sondern sorgen dafür, dass der jeweilige Neurotransmitter nicht zu schnell wieder abgebaut wird.
Die Wirkungsweisen der Botenstoffe sind voneinander abhängig. Es gibt übrigens mehr als nur die drei neuronalen Botenstoffe (Neurotransmitter), die bei ADHS eine wichtige Rolle spielen. Man muss sich die Neurotransmitter als komplexes Gebilde vorstellen: beeinflusst man einen davon, wird das ganze System mit veränderten Werten reagieren.
Methylphenidat wirkt sowohl direkt als auch indirekt (u. a. über das Noradrenalin-System) auf den Dopamin-Stoffwechsel, der wiederum hat Einfluss auf den Noradrenalin- und Serotonin-Stoffwechsel und sicherlich auch auf andere Neurotransmittersysteme. Das Gehirn und seine Funktionsabläufe sind so kompliziert, dass man das heute noch nicht bis ins Detail beschreiben kann.
Wenn die Medikamente das Wesentliche in der Behandlung von ADHS sind, welche Rolle spielen dann die anderen Therapien, z. B. Ergo?
Neben den Kernsymptomen der ADHS haben sich im Laufe der Zeit andere (sekundäre) Probleme gebildet und verfestigt, die mit der Gabe von Medikamenten nicht von selbst weggehen. An dieser Stelle kommen die begleitenden Therapien ins Spiel, die auf die jeweilige Problematik genau abgestimmt werden.
Ergotherapie wird bei ADHS kontrovers diskutiert. Diese Bezeichnung ist ein Sammelbegriff für viele, sehr verschiedene Therapieformen und -ziele. Wichtig ist, dass der/die Therapeut/in fundierte Kenntnisse von ADHS hat und dass die gewählte Ergotherapie zu den individuellen Problemen passt. Man findet zunehmend mehr Ergotherapeuten, die ein speziell auf ADHS zugeschnittenes Angebot haben. Eine große Rolle bei ADHS spielt auch die Verhaltenstherapie.
Man darf aber nicht vergessen, dass begleitenden THerapien die Medikamente nicht ersetzen sondern nur ergänzen können. Erst durch die Medikamente sind viele Patienten in der Lage, von diesen Therapien zu profitieren und das Gelernte dauerhaft in den Alltag zu übertragen.
Außerdem ist darauf zu achten, dass nach jeweils 10 Therapiestunden eine Verlaufskontrolle durch den überweisenden Arzt erfolgt, um sicher zu sein, dass die Therapie auch wirklich hilft. Sonst ist sie Zeitverschwendung für das Kind und ein unnötiger Kostenfaktor für die Versichertengemeinschaft.
Wieviel Therapie ist einem Kind pro Woche zuzumuten? Ergotherapie und Logopädie, Integration mit "normaler Freizeitgestaltung"? Wie kann die eigene Gefühlswahrnehmung trainiert werden?
Man sollte nicht die ganze Woche mit Therapien anfüllen, sondern sich nach den Problemen des Kindes richten. Die massivste Störung sollte vorrangig behandelt werden.
Ergotherapie oder Logopädie sind zur alleinigen Therapie von ADHS nicht geeignet. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil besonders Ergotherapie bei ADHS manchmal wegen schlechter Versorgungslage als "Verlegenheitstherapie" eingesetzt wird. Es wird dann oft so argumentiert, dass Ergotherapie immer noch besser sei, als überhaupt keine.
Wie alle anderen Therapiearten, sollten aber auch Ergo- und Logotherapie dann angewandt werden, wenn sie indiziert und sinnvoll sind. Das kann selbstverständlich auch bei ADHS durchaus der Fall sein, nämlich wenn Begleitstörungen (Komorbiditäten) vorliegen, die üblicherweise auch sonst mit den genannten Therapiearten behandelt werden. Derartige Begleitstörungen kommen bei ADHS überdurchschnittlich häufig vor.
Aber auch hier gilt, dass man sich im gegebenen Fall einen Ergotherapeut/in oder eine Logopäd/in suchen sollte, der/die über fundierte ADHS-Kenntnisse verfügt.
Problem: motorische Abläufe können nicht automatisiert werden, zumindest nicht in normalem Zeitraum. Was kann ich tun und was ist die Ursache?
Es sind viele Ursachen möglich, eine davon könnte ADHS sein. Zunächst müsste mit fachärztlicher Hilfe abgeklärt werden, ob und wenn ja, welche Störung vorliegt. Danach richten sich dann auch die Therapievorschläge. Aus der Entfernung kann ich leider nicht mehr dazu sagen.
Wenn die Ärzte wissen, dass ergotherapeutische Behandlung in Gruppen wesentlich höhere Therapieerfolge hat, warum wird dann weiterhin so reduziert, auf einmal wöchentlich, verordnet?
Ich bin mir nicht sicher, was Sie mit "Behandlung in Gruppen" meinen. Wenn Sie an Gruppentherapie statt Einzeltherapie denken, so ist es immer eine Einzelfallentscheidung und eine Frage des Therapiezieles, welche Form besser geeignet ist. Wenn Sie an eine Therapiehäufigkeit von mehr als einmal wöchentlich denken, so ist mir keine Studie bekannt, die besagt, dass das effektiver sein soll. Ich kann mir aber vorstellen, dass, je nach Therapieziel, die Patienten eine Woche Zeit zwischen den Therapiestunden brauchen, um das Gelernte in den Alltag zu übertragen.
Was mache ich mit einem therapiemüden Kind (12 J.), das sich nicht mehr zur Therapie und zu Medikamenten bewegen lässt?
Das ist sicherlich von Kind zu Kind verschieden. Mein damals 11-jähriger hat auch versucht, eine Ergotherapie zu "vermeiden", indem er lang und breit versuchte, mit mir darüber zu diskutieren, ob er da wirklich hin muss. Ich habe diese Gespräche gleich in den Anfängen erstickt, indem ich ihm erklärt habe, dass das nicht diskutierbar ist. Die Therapie ist eine ärztliche Anordnung und wird befolgt! Da kann ich mich als Mutter nicht drüber hinwegsetzen. Damit war ich aus dem Schneider, denn der Arzt ist eine Autorität, der sogar Mütter gehorchen müssen.
Dieses Rezept wird nicht bei jedem Kind funktionieren, aber ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, den Kindern immer dann Spielraum zu gewähren, wenn es nichts Wichtiges ist (Klamotten, Frisur, Musikgeschmack, Fernsehsendungen, Computerspiele, ...) aber dafür bei Sachen, die mir wichtig sind, von vornherein klarzustellen, dass das nicht verhandelt werden kann.
Wie kann man einem ADHS-Kind helfen, dessen Vater seine Impulse und seinen Ärger nicht gut kontrollieren kann, so dass es zu grenzwertiger Gewalterfahrung für das Kind kommt?
Zunächst kann diesem Kind genauso geholfen werden, wie jedem anderen, nämlich mit dem multimodalen Therapieansatz: Medikamente und begleitende Therapien. Letztere sind immer auf die individuelle Problematik abgestimmt, also in diesem Fall auch Einbeziehung von Gewalterfahrung.
Was den Vater betrifft, da würde ich mir mit ihm gemeinsam Gedanken machen, was die Ursachen für sein Verhalten sein könnten und was er unternehmen kann, um sich besser zu kontrollieren. Da ADHS eine genetische Ursache hat, spricht manches dafür, dass er selbst betroffen sein könnte.
Jugendliche
Was mache ich, wenn man ADHS erst im Jugendlichenalter vermutet?
ADHS kann in jedem Alter diagnostiziert werden. Das Problem ist eher, den/die Jugendliche/n davon zu überzeugen, einen Arzt aufzusuchen und sich behandeln zu lassen.
Jungendliche mit unbehandeltem ADHS sind besonders gefährdet, in die Drogenszene zu geraten, die Schule nicht zu Ende zu bringen, eine Lehrstelle nicht dauerhaft halten zu können, usw. Hier trifft eine schwierige genetische Disposition auf ein schwieriges Lebensalter. Beides zusammen ist eine große Belastung, nicht nur für den Jugendlichen, auch für sein Umfeld.
Es kann in diesem Fall hilfreich sein, wenn wenigstens die Eltern/Bezugspersonen den Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe suchen, um für sich selbst Entlastung zu finden im Austausch mit anderen betroffenen Eltern.
Welche Probleme gibt es, wenn die ADHS-Behandlung nicht in der frühen Kindheit erfolgt ist?
ADHS kann man in jedem Alter behandeln, es gibt auch 60-jährige, die neu diagnostiziert sind. Die Störung verändert sich im Laufe des Lebens, die Diagnostik wird bei älteren Patienten schwieriger, weil die Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) die zugrunde liegende ADHS überlagern.
Ein besonderes Problem bei Jugendlichen ist, dass sie nicht wahrhaben wollen, dass sie anders sind als die anderen. Aus diesem Grund kann es leicht passieren, dass sie Medikamente und Therapien ablehnen. Hier ist viel Geduld und diplomatisches Geschick von Seiten der Eltern und Ärzte erforderlich, um die Bereitschaft zur Therapie herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.
Erwachsene
Können Sie etwas zum Thema Gefühle, Partnerschaft, Treue bei ADHS-Patienten sagen?
Zum diesem Thema gibt es sehr viel zu sagen, aber das würde den Rahmen hier sprengen. In vier Worten zusammengefasst hieße es: "oftmals schwierig bis turbulent". Wer es genauer wissen will, dem sei ein Buch von Cordula Neuhaus empfohlen: Lass mich doch verlass mich nicht
ADHS-Beziehungen und Partnerschaften sind häufig weniger stabil als im Durchschnitt. Wenn man sich vor Augen hält, dass ADHS eine Störung der Impulskontrolle, Aufmerksamkeit und Affektregulation ist, einhergehend mit geringer Frustrationstoleranz, Desorganisiertheit, erhöhter Stressempfindlichkeit und depressiven Stimmungseinbrüchen, dann wundert man sich nicht darüber. Aber auch hier gilt, dass es mit ADHS zwar schwieriger, aber durchaus möglich ist, eine dauerhafte, glückliche Beziehung/Parternerschaft/Ehe zu führen.
Gesellschaft
Gibt es heute mehr ADHS als früher?
Die Antwort lautet jein. Es gibt viele Hinweise, dass es früher auch schon ADHS gab, z.B. das Buch Struwelpeter und sein Autor. Er soll ein anstrengendes Kind gewesen sein: Der Psychiater Heinrich Hoffmann, Autor des "Struwwelpeter" - selbst ein Betroffener?
Von der genetischen Disposition wird sich die Menschheit in den letzten 100 Jahren wohl nicht so sehr verändert haben, dass das die vielen ADHS-ler heute erklären kann. Aber ADHS ist immer eine Mischung aus Veranlagung und Umwelt. Und unsere Umwelt hat sich im vergangenen Jahrhundert sehr verändert. Ich gehe davon aus, dass das ein Grund für die zunehmend auftretenden Probleme ist. ADHS-ler kommen mit den heutigen Anforderungen unserer Gesellschaft nicht mehr so gut zurecht.
Dazu kommt, dass es die Diagnose ADHS noch gar nicht so lange gibt. Vor 100 Jahren konnte man das, was diese Kinder umtrieb, noch gar nicht benennen. Und wozu sollte man sich etwas merken, das noch nicht mal einen Namen hatte?
ADHS Deutschland
AdS e. V.