ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist die häufigste psychiatrische Erkrankung des Kindes- und Jugendalters. Aktuellen Prävalenzschätzungen zufolge sind in Deutschland ca. 5 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren betroffen, wobei die Erkrankung bei Jungen etwa viermal häufiger diagnostiziert wird als bei Mädchen (1). Bei etwa 60% der Betroffenen bleiben wesentliche Symptome der ADHS auch im Erwachsenenalter bestehen (2).
Quellen
- Schlack R et al., Bundesgesundheitsblatt, 2007, 50:827-835.
- Wender PH et al. Adults with ADHD. Ann NY Acad Sci 2001; 932:1-16
Es werden international Prävalenzraten von ca. 9,2% für Jungen und ca. 2,9% für Mädchen berichtet.
In Deutschland werden Prävalenzraten von ca. 5-6% der Kinder angegeben.
2006 wurde in Deutschland eine umfangreiche Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KIGGS, 2006) durchgeführt. Bei 14.836 Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren wurden die Prävalenzdaten zu ADHS erhoben. Je nach Altersgruppe lag die Prävalenz bei bis zu 2,9% der Vorschulkinder und bis zu 7,9% bei Jugendlichen. Dabei wird die Diagnose bei Jungen zwei- bis viermal häufiger vergeben als bei Mädchen (Schlack et.al.2007).
In der KIGGS - Studie 2006 wurde die bisherigen Daten der Häufigkeit von ADHS bestätigt.
Für den Übergang in das Erwachsenenalter belegen Studien, dass die im Kindesalter diagnostizierten ADHS - Symptome in 40–60 % der Fälle weiterhin vorliegen. Daraus ergeben Prävalenzraten von ca. 1–4% (Philipsen et al., 2008; Sobanski et al., 2008; Spencer et al.2007).
Während im Kindes- und Jugendalter Geschlechtseffekte vorliegen, sind diese im Erwachsenenalter nicht in dieser ausgeprägten Form festzustellen (Biedermann et al.2004).
Weiterführende Literatur dazu:
- Entwicklungspsychopathologie der ADHS (Sören Schmidt, Franz Petermann)
- Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
- Zeitschrift für Psychiatrie,Psychologie und Psychotherapie, 56 (4), 2008, 265-274
Epidemiologie
Bundesärztekammer
Für die Prävalenz konnten folgende Einflussfaktoren identifiziert werden:
- Diagnostisches Klassifikationssystem (DSM versus ICD)
- Art der Stichprobe (Inanspruchnahme-Populationen; bevölkerungsbasierte Studien)
- Diagnoseverfahren (klinisch, Fragebogen, strukturierte Interviews)
- Berücksichtigung der Auswirkung auf das psychosoziale Funktionsniveau
Legt man eine bevölkerungsbasierte Stichprobe zugrunde, die nach DSM-IV mittels strukturierter oder semi-strukturierter Interviews untersucht wurde (Tabelle 1, Studien 4 bis 9), so ergibt sich in der Altersgruppe von 4 bis 17 Jahren eine Prävalenz von 2 bis 7%. Werden die strenger gefassten Kriterien der ICD-10 zugrundegelegt (Tabelle 1, Studie 10), so ergibt sich eine Prävalenz von 1 bis 2%. Nach Erhebungen im Rahmen des Kinder- und Jugendsurveys des Robert-Koch-Instituts Berlin wurde für Kinder und Jugendliche bis zum 17. Lebensjahr eine mittlere Prävalenzrate von 3,9% ermittelt (6).
Tabelle: Epidemiologische Untersuchung zur Prävalenz von ADHS bzw. HKS
Schlack:
Im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) beantworteten die Eltern von insgesamt 7569 Jungen und 7267 Mädchen im Alter von 3–17 Jahren schriftlich einen Fragebogen, der unter anderem eine ADHS-Diagnosefrage und den Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) enthielt. Zusätzlich erfolgten Verhaltensbeobachtungen von 7919 Kindern (Altersspanne 3–11 Jahre) während der medizinischphysikalischen Tests. Als ADHS-Fälle wurden Teilnehmer eingestuft, deren Eltern eine jemals von einem Arzt oder Psychologen gestellte ADHS-Diagnose angegeben hatten. Als ADHS-Verdachtsfälle wurden Teilnehmer betrachtet, die Werte von ≥ 7 auf der Unaufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsskala des SDQ (Elternurteil) aufwiesen.
Bei insgesamt 4,8 % der Kinder und Jugendlichen wurde jemals ADHS diagnostiziert. Weitere 4,9 % der Teilnehmer können als Verdachtsfälle gelten. Bei Jungen wurde ADHS um den Faktor 4,3 häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Bereits bei 1,8 % der Teilnehmer im Vorschulalter wurde ADHS diagnostiziert.
Im Grundschulalter (7–10 Jahre) steigt die Diagnosehäufigkeit stark. Im Alter von 11–17 Jahren wurde bei jedem zehnten Jungen und jedem 43. Mädchen jemals ADHS diagnostiziert. ADHS wurde häufiger bei Teilnehmern mit niedrigem sozioökonomischem Status diagnostiziert als bei Teilnehmern mit hohem Status. Von Migranten wird seltener über eine ADHS-Diagnose berichtetet, sie sind jedoch häufiger unter den Verdachtsfällen. Diese Diskrepanz könnte auf eine Unterdiagnostizierung oder auf Inanspruchnahmeeffekte bei Migranten hinweisen. Die kurz- und langfristigen medizinischen, sozialen und gesundheitsökonomischen Konsequenzen von ADHS verdeutlichen die hohe Public-Health-Relevanz der Störung. Der hohe Anteil genetischer Faktoren an der Ätiologie der ADHS lässt hier vor allem an Maßnahmen der Sekundär-(Früherkennung und Frühförderung) und Tertiärprävention denken. Mit weiteren Auswertungen der KiGGS-Daten können Risikogruppen zukünftig genauer identifiziert und Präventionsansätze weiterentwickelt werden. Schlüsselwörter Gesundheitssurvey - Kinder - Jugendliche - ADHS - Diagnosehäufigkeit - SDQ - Sozioökonomischer Status