Der praktische Ratgeber zum Meistern des Alltags mit ADHS
„ADHS bei Erwachsenen“ ist laut Einband ein „[…] praktische[r] Ratgeber zum Meistern des Alltags mit ADHS“. Das schmale Büchlein kann mit Sicherheit beanspruchen, praktisch zu sein. Zum „Meistern“ des Alltags kann es ein Baustein sein, aber für sich genommen lässt es den Leser mit einigen Lücken zurück. Ist Svenja Holds Werk gekonnt auf das Wesentliche fokussiert oder zu knapp, um wirklich nützlich zu sein? Im Folgenden meine Eindrücke:
Das Buch kann grob in einen Fachbuch- und einen Strategieteil gegliedert werden. Zwischen den beiden Buchabschnitten finden sich die Kapitel “Der Weg zur Therapie” und ein ADHS-Selbsttest.
Fachbuch-Teil
In den ersten zwei Dritteln werden viele Aspekte des Alltags mit Aufmerksamkeitsschwäche vorgestellt. Von ICD- und DSM-Codierungen über gängige Vorurteile bis hin zu Wirkmechanismen von Medikamenten wird in der Breite eine Vielzahl an Themen angerissen. Auf den etwa 80 Seiten wird in 10 Kapiteln eine Vielzahl an Themen – von denen viele eigene Bücher füllen könnten – abgehandelt. Die kurze und stark gegliederte Schreibweise macht es Betroffenen oder Angehörigen leicht, sich einen Überblick zu verschaffen.
Weg zur Therapie und Selbsttest
Das daran anschließende Kapitel: „Der Weg zur Therapie“ bleibt dem Stil des ersten Teils weitgehend treu: Die Abschnitte sind kurz und halten sich nicht an Details auf. Der typische Weg zur Behandlung wird skizziert und auch auf einige Fallstricke hingewiesen.
Darauf folgt der schwächste Teil des Buches: der Selbsttest: Durch das Beantworten von 40 Ja/Nein-Fragen soll man die Möglichkeit bekommen, zu beurteilen “[...] ob [man] von dieser Störungsform betroffen [ist...]”. Selbst beim Test jede Frage mit “nein” beantwortet wird, ist das Resultat:
„Eine Rücksprache mit ärztlichem Personal ist in jedem Fall sinnvoll.“
Svenja Hold ist sich – das wird in anderen Kapiteln ausgeführt – der Schwierigkeiten bewusst, die Personen von einer ADHS-Diagnostik absehen lassen. Insofern ist der Test wohl eher als Einladung zu verstehen, sich an die entsprechenden Stellen zu wenden.
Hier zeigt sich aber auch eine der Schwächen des Bandes: Für versierte Leser kann die bewusst gewählte Simplizität Anstoß erwecken. Ein Test, der in Jedem Fall „Geh zum Arzt“ ergibt, kann unter Umständen respektlos wirken. ADHS gilt zu Recht nicht mehr als Kinderkrankheit, der Test ist aber als Mittel und in seiner Gestaltung für Erwachsene möglicherweise nicht angemessen.
Ratgeber-Teil
Die anschließenden Kapitel sind als Anleitung für ein 5-Wochen-Programm angelegt. Hier werden Übungen und Methoden vorgestellt, mit denen man verschiedene Alltagsprobleme angehen kann. Die vorgeschlagenen Herangehensweisen wie Achtsamkeit, Entspannung und Affirmationen kommen dem Leser sicher bekannt vor,
wenn dieser schon etwas recherchiert hat. Befindet man sich noch auf der Suche nach dem eigenen Alltags-Bewältigungs-Stil, kann man durchaus eine breite Einführung in verschiedene Herangehensweisen bekommen.
Auf sich allein gestellt wird es aber selbst motivierteren ADHSlern schwerfallen, das 5 -Wochen-Programm in 5 Wochen durchzuführen. Die Übungen sind knapp beschrieben und es wird betont, dass “ … es eine lange Zeit dauern kann, bis […] erste Erfolge […] “ eintreten. Ganz ohne Unterstützung durch Therapeuten oder Angehörige sind die dargestellten Techniken wohl schwer nachhaltig umzusetzen. Mit einer kurzen Linkliste und einer Auflistung von Merksätzen endet „ADHS bei Erwachsenen“ schließlich.
Fazit
Das Buch ist insgesamt bedingt empfehlenswert. Selbsttest und Strategieteil sind für sich genommen für die Meisten wohl wenig nützlich. Hat man schon etwas Einblick, wird wahrscheinlich auch im einführenden Fachbuchteil nicht viel Neues herauskommen.
Der kompakte Band kann aber durchaus interessant sein. Am besten eignet sich “ADHS bei Erwachsenen” wohl als Einführung:
Einerseits ein einfaches, kurzes Fachbuch, das man durcharbeiten kann, um Anregungen für weitere Beschäftigung mit der Materie zu finden. Andrerseits eine Liste von Strategie-Vorschlägen, unter denen man – mit Unterstützung - die individuell passenden ausprobieren und gegebenenfalls weiterverfolgen kann.